Stellungnahme

zum Kurzbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit über die Spätaussiedlerarbeitslosigkeit
(Ausgabe Nr. 8 / 2.4.2007)

Der Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) liegt eine unkorrekte Methodik zugrunde, die zu falschen Schlussfolgerungen gebracht hat. Der Studie zufolge hätten die Spätaussiedler eine weit überdurchschnittliche Arbeitslosenquote, die sogar wesentlich höher als die der Ausländer sei; letztere hätten keine verwertbaren Qualifikationen und noch viel mehr. Die Studie vermittelt die Botschaft, die Aussiedler seien eine große Belastung für die deutsche Gesellschaft. Diese Botschaft ist durch mehrere große Zeitungen sofort aufgegriffen und hinausposaunt worden. Neben der bisher noch andauernden grundlosen Medienkampagne, die die angeblich hohe Straffälligkeit der Spätaussiedler „entlarvt“, ist die genannte Studie eine große zusätzliche Belastung für das Ansehen der Deutschen aus Russland.

Man möchte hoffen, die Untersuchung gehe diesmal nur auf mangelhafte Kompetenz der Studien-Autoren in Fragen der Spätaussiedler-Integration zurück und sei ideologisch nicht motiviert. Da jedoch die Folgen dieser Desinformation zweifellos auf die ganze Volksgruppe zukommen und uns allen schwer zu schaffen machen werden, scheint es uns für angebracht, sowohl auf die Unkorrektheit der Studie als auch auf ihre falschen Ergebnisse hinzuweisen.

Der größte Fehler der Studien-Verfasser besteht darin, dass sie nur die ersten fünf Aufenthaltsjahre der Spätaussiedler in der Bundesrepublik in Erwägung ziehen und das erste Jahr nach der Ankunft  aus der Betrachtung nicht ausschließt.

In den Jahren 2000 – 2004 und früher wurden die Spätaussiedler schon in den Landesaufnahmelagern als Arbeitslose gemeldet, obwohl da von einer Arbeitsaufnahme überhaupt noch keine Rede sein konnte. Dadurch wurde die Auszahlung der Eingliederungshilfe zum Lebensunterhalt durch das Arbeitsamt ermöglich, anstatt die Sozialhilfe von den Kommunen in Anspruch zu nehmen. Am zugewiesenen ersten Wohnort hatten sich die Betroffenen erneut im Arbeitsamt anzumelden, was mit einem Termin verbunden war und in der Regel zwei bis drei Wochen dauerte.

Danach musste im Amt für Vertriebene und Flüchtlinge der Status der Aussiedler geklärt werden (das heißt, ob der Betroffene Abkömmling oder Ehegatte eines Spätaussiedlers, oder nur ein weiteres Familienmitglied des Spätaussiedlers ist). Die Ausstellung einer Bescheinigung nach §15 des BVFG ist ein wichtiger Verwaltungsakt, verbunden mit der Staatsangehörigkeitsfrage. Vor 2005 nahm er in der Regel von zwei bis vier Monate in Anspruch.  Erst danach konnte das Arbeitsamt entscheiden, ob die betroffene Person Anspruch auf einen Integrationssprachkurs habe oder nicht. Daraufhin musste man warten, bis sich genügend Teilnehmer meldeten, um eine Sprachkurs-Gruppe zu bilden. Und erst nach dem ihnen zustehenden sechsmonatigen Integrationssprachkurs konnten die Spätaussiedler mit der eigentlichen Bewerbung auf dem Arbeitsmarkt beginnen. Diese „Fehlzeit“ dauerte insgesamt meistens etwa ein Jahr. Wenn man die Spätaussiedler in dieser Eingliederungsphase in die Statistik der Arbeitslosigkeit einbezieht und dabei insgesamt nur die ersten fünf Jahre berücksichtigt, dann ist in den Studienergebnissen schon allein dadurch eine Arbeitslosigkeit von etwa 20 Prozent vorprogrammiert. Wenn man annimmt, dass bei den Spätaussiedlern, die mehr als ein Jahr aber weniger als fünf Jahre in Deutschland leben, die Arbeitslosigkeit dem bundesdeutschen Durchschnitt entspreche (elf Prozent), dann kommt man zum Ergebnis, dass über 30 Prozent von ihnen arbeitslos seien. So einfach ist es!

Aber die meisten schaffen es auch nicht gleich nach dem ersten Jahr des Aufenthaltes in Deutschland,  einen sicheren Arbeitsplatz auf dem angespannten Arbeitsmarkt zu finden. Je höher die Qualifikation, desto mehr Probleme gibt es mit der Anerkennung der Bildungsnachweise. Bei den Lehrern sah es bisher ganz aussichtslos aus. Den meisten Akademikern fehlte ein weiterführender Sprachkurs und eine Zeit (die gar nicht so groß sein muss!), um die Ausbildungspläne in der GUS und in Deutschland zu überbrücken. Deshalb ist bei ihnen die Arbeitslosigkeit höher als im Schnitt, und wenn man zu ihrer tatsächlichen Arbeitslosigkeit  die oben erwähnten unkorrekten zwanzig Prozent hinzufügt, kommt man eben zu den „fantastischen“ 43,6 Prozent, die in der Studie festgestellt worden sind. Und wenn die meisten von ihnen früh oder spät doch eine Arbeit aufnehmen, dann landen sie  in der Regel in der Rubrik „Nichtfacharbeiter“, die den Beigeschmack trägt: „nicht brauchbare“, „leicht ersetzbare“ Mitarbeiter. Sehr verletzend für Menschen, von denen einige im Herkunftsland als Spitzenfachleute bekannt gewesen sind!

Eine Studie von Dr. D. Dorsch (Soziologe mit Herkunft aus der GUS, erfasste die Jahre 1995-2001)) belegt, dass wenn man die ersten zwei Eingliederungsjahre bei den Spätaussiedlern nicht berücksichtigt und in die Erfassung auch Spätaussiedler einbezieht, die schon mehr als fünf Jahre in Deutschland  leben, dann liegt bei ihnen die Arbeitslosigkeit um 0,3 bis 1,8 Prozent niedriger als im bundesdeutschen Durchschnitt.

Darüber hinaus sollte man beim Vergleich der Arbeitslosigkeit unter den Ausländern und den Spätaussiedlern Folgendes in Betracht ziehen:

  1. In der Studie sind in der Vergleichsgruppe „Ausländer“ erwerbsfähige Bürger erfasst worden, die legitim auf längere Zeit in Deutschland mit einem ausländischen Pass leben. Es handelt sich also zum größten Teil um Gastarbeiter, die in den 1960/70er Jahren aufgenommen worden sind. Jetzt geht es vorwiegend um ihre Abkömmlinge, die in Deutschland aufgewachsen oder geboren sind, deutsche Schulen besuchten und eine deutsche Berufsausbildung haben. Was Wunder, dass sie auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen haben als die Deutschen aus Russland, die eben eingereist sind und sich erst zurechtfinden müssen? Übrigens, woher haben die Autoren der Studie die Daten von 9.402.282 arbeitsfähigen Ausländern genommen? Es ist ja bekannt, dass es in Deutschland insgesamt nur sieben Millionen Ausländer gibt, die Greise und Säuglinge mitgerechnet.
  2. Es gibt ja auch unter den Ausländern Menschen, die ebenfalls weniger als fünf Jahre in Deutschland leben, nach 2000 mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis eingereist oder mit einem Deutschen/einer Deutschen verheiratet sind. Liegt es nicht auf der Hand, dass man nur solche Ausländer mit den Spätaussiedlern vergleichen kann, wenn es um die Fähigkeit geht, sich auf dem Arbeitsmarkt in fünf Jahren zu integrieren?

Es wäre wirklich ratsam und durchaus zweckmäßig, sich von Fachleuten, die den Ablauf des Integrationsprozesses in Details kennen, beraten zu lassen, bevor man eine solche Studie überhaupt beginnt. Widrigenfalls liegt der Schluss nahe, man sei an objektiven Daten nicht interessiert.

Dr. Heinrich Neugebauer






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