Dr. Heinrich Groth: 30-jähriges Jubiläum der Rehabilitationsbewegung und der Gesellschaft der Deutschen aus Russland „WIEDERGEBURT“

Der Vortrag auf dem Kongress der Deutschen aus Russland
(Berlin, 29. April 2018)

Liebe Landsleute!

Sehr geehrte Teilnehmer  am Jubiläumskongress der Deutschen aus Russland, der dem 30-jährigen Bestehen der Rehabilitationsbewegung unserer Volksgruppe „Wiedergeburt“ gewidmet ist!

Ich begrüße sie recht herzlich als einer der wenigen noch lebenden Mitgründer dieser Bewegung und ehemaliger erster Vorsitzender der Allunionsgesellschaft der Sowjetdeutschen „Wiedergeburt“! Ich möchte in diesem Zusammenhang vor allem kurz an die Entstehungsgeschichte der „Wiedergeburt“-Bewegung erinnern.

Der Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR „Über die Übersiedlung der Deutschen, die in den Wolgarayons wohnen“ vom 28. August 1941 bildete die Grundlage für die Enteignung und Deportation nach Sibirien und Nord-Kasachstan nicht nur der Wolgadeutschen, sondern auch für alle Deutschen, die im europäischen Teil des Landes wohnten. Vom 10. Januar 1942 erfolgte danach die Einberufung aller deutschen Männer ab 15 bis 50 Jahren und Frauen ab 16 Jahren, sofern sie keine Kinder unter drei Jahren hatten, in die so genannte „Arbeitsarmee“, die an sich ein Netz von Konzentrationslagern des Gulag war.

Die vertriebenen und gezielt zerstreuten Russlanddeutschen wurden nach 1945 dem Sondersiedler-Status unterworfen, der 1948 drastisch verschärft und noch zehn Jahre nach dem Kriegsende aufrechterhalten wurde. Es war den Russlanddeutschen, die in der Nachkriegszeit als Sondersiedler bezeichnet wurden, strengstens untersagt, sich mehr als zwei Kilometer vom angewiesenen Wohnort (oder Lager) zu entfernen. Die Überwachung der Sondersiedler oblag den so genannten Spezkommandanten (NKWD-Offiziere). Von der Pflege der deutschen Sprache und des deutschen Brauchtums konnte in solchen Verhältnissen natürlich keine Rede sein.

Am 29. August 1964 wurden die unbegründeten Beschuldigungen der Russlanddeutschen durch den Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR aufgehoben. Aber die 1941 über sie  verhängten Strafmaßnahmen wurden nicht zurückgenommen, was vor allem dadurch zum Ausdruck kam, dass sie in ihre angestammten Siedlungsgebiete nicht zurückkehren durften. Das bedeutete gleichzeitig, dass die Wiederherstellung der Wolgarepublik und des deutschen Schulsystems der Vorkriegszeit nicht in Frage kam. Es versteht sich von selbst, dass die entstandene Situation den Unmut der Deutschen verursachte.

Die ersten Versuche, das Problem der „Sowjetdeutschen“ zu lösen, unternahmen zwei Delegationen unserer Landsleute, die im Jahre 1965 nach Moskau entsandt wurden. Die Vertreter der Sowjetregierung äußerten damals zwar Verständnis für die Belange der „Sowjetdeutschen“, aber die endgültige Rehabilitation lehnten sie mit der Begründung ab, man brauche die Deutschen dort, wo sie jetzt lebten und besonders in der Republik Kasachstan, die sich gerade zur wichtigsten „Kornkammer“ der Sowjetunion entwickelte.

Dabei blieb es bis zu der Gorbatschow-„Perestroika“, als die Hoffnungen der verschleppten und unterdrückten Volksgruppen auf die wirkliche Rehabilitation – vor allem die der Krim-Tataren, der Sowjetdeutschen und der Türken-Mescheten – erneut erwachten.

Die Sowjetdeutschen, die sich nunmehr wieder als Russlanddeutsche bezeichneten, wurden ab Sommer 1987 aktiv und entsandten im April 1988 eine Delegation nach Moskau. Diese Delegation setzte sich aus dreizehn Personen zusammen, die wir heute besonders ehren wollen, weil sie damals noch vieles riskierten. Die von der Delegation vorgebrachten Bitten und Rehabilitationsforderungen stießen auf taube Ohren der Regierungsvertreter. Dennoch waren die Bemühungen der Abordnung nicht fruchtlos: Es wurde ein Organisationskomitee gegründet, das die Rehabilitationsaktivitäten der Russlanddeutschen koordinieren sollte.

Schon im Sommer desselben Jahres traf in Moskau die nächste Delegation der Russlanddeutschen ein. Sie zählte 56 Personen und war in Moskau fast einen ganzen Monat lang tätig. Die Delegationsmitglieder setzten Eingaben an die Behörden auf und machten ihre Forderungen in Regierungsorganen und Massenmedien geltend. Im Oktober 1988 kam dann die 5. Delegation nach Moskau, die schon aus 105 Personen bestand.

Die Tätigkeit dieser Delegationen sowie die Aktivitäten vor Ort rückten die bisher tabuisierten Probleme der Deutschen in der Sowjetunion ins Licht der Öffentlichkeit. Im Zuge der so genannten „Perestroika“ kam die lang ersehnte Hoffnung auf die „Wiederherstellung der Gerechtigkeit“ wieder hoch. Die diskriminierten und zu einer Randgruppe der Gesellschaft degradierten Russlanddeutschen wachten auf. Zu Beginn des Jahres 1989 hatte die Rehabilitationsbewegung eine Phase erreicht, die die Gründung einer landesweiten Organisation auf den Plan rief. Im März dieses Jahres wurde daher  auf der Gründungskonferenz  in Moskau die Allunionsgesellschaft der Sowjetdeutschen „Wiedergeburt“ (Всесоюзное общество советских немцев «Возрождение») gegründet. In kurzer Zeit stieg die Zahl der „Wiedergeburt“-Mitglieder, deren Grundorganisationen sich in den meisten Großstädten und Regionen der Sowjetunion etablierten, auf mehrere Zehntausend. Um der unterdrückten Volksgruppe notdürftig entgegenzukommen, setzte der Oberste Sowjet (das Parlament) der SU im Frühling 1989 gezwungenermaßen einen Ausschuss (Kommission) „für die Angelegenheiten der Sowjetdeutschen“ ein. Danach wurde dazu im Dezember 1989 eine „Regierungssonderkommission“ ins Leben gerufen.

Doch der Rehabilitationsprozess, der so hoffnungsvoll eingesetzt hatte, geriet zu Beginn der 1990er Jahre ins Stocken und wurde schließlich gänzlich gestoppt. Der wahre Regierungskurs kam am 8. Januar 1991 in der unerhörten Aussage des Präsidenten Russlands B. Jelzin an den Tag. Er erklärte nämlich, dass man den Deutschen in der Sowjetunion nur das verseuchte Raketenversuchsgelände Kapustin Jar bei Wolgograd (ehemaliges Stalingrad) zu Verfügung stellen könne. Diese Aussage, die der alkoholisierte Präsident auf einer antideutschen Kundgebung gemacht hatte, war zweifellos eine bodenlose Frechheit. Er demütigte damit erneut  eine beraubte und jahrzehntelang unbegründet diskriminierte Volksgruppe.  Und so kam diese Aussage bei den Deutschen in der Sowjetunion auch an. Der Traum von der Wiederherstellung der Autonomie war aus. Die Russlanddeutschen, die noch auf die „Wiederherstellung der Gerechtigkeit“ gehofft hatten, fingen an, ihre Koffer zu packen. Sie verließen in ihrer Mehrheit für immer das Land, für das sich ihre Vorfahren jahrhundertelang selbstlos eingesetzt hatten.

Die Rehabilitationsbewegung der Deutschen in Russland hatte einen Massencharakter. Neben den „Wiedergeburt“-Funktionsträgern, die sich ehrenamtlich und hingebungsvoll für die Belange ihrer Landsleute einsetzten, beteiligten sich Zehntausende von Menschen in allen Republiken der Sowjetunion an den Aktivitäten der Organisation. Besonders dramatisch gestaltete sich der Einsatz von fast Eintausend bevollmächtigten Delegierten des 1. Allunionskongresses der Sowjetunion (1991), der gegen den Willen der Regierung veranstaltet wurde. Bemerkenswert sind auch der 2. und 3. Kongress der Russlanddeutschen der GUS-Länder (1992/93) und der 1. Allgemeine Kongress der Deutschen der Russischen Föderation (1993).

Zu den wichtigsten Ergebnissen der „Wiedergeburt“-Bewegung in der Sowjetunion und den GUS-Nachfolgestaaten gehören:

  1. Die Auslösung des organisierten Protests der Russlanddeutschen gegen die schleichende Auslöschung der deutschen Volksgruppe, die gezielt auf einem riesengroßen Territorium zerstreut wurde. Verinnerlichung der Tatsache, dass sich die Russlanddeutschen als Deutsche nur entweder in ihren angestammten Siedlungsgebieten erhalten können oder in ihrer historischen Heimat Deutschland.
  2. Konsolidierung der Russlanddeutschen in der Bewegung „Wiedergeburt“, die über 100.000 Mitglieder hatte und sich als geschlossene Kraft für die Interessen der Volksgruppe einsetzte.
  3. Die politische Einflussnahme auf die Verabschiedung mehrerer wichtiger Erlasse und Gesetze durch das Parlament und den Präsidenten der Russischen Föderation in Bezug auf die Rehabilitation der deutschen Volksgruppe in der Sowjetunion.
  4. Die Vorbereitung und Durchführung des I. Außerordentlichen Kongresses der Deutschen in der Sowjetunion sowie weiterer gesamtnationaler Kongresse in den GUS-Staaten und der Russischen Föderation, auf denen der demokratische Wille der unterdruckten Volksgruppe zum Ausdruck gebracht wurde.
  5. Der Einsatz dafür, dass das Recht auf die Einreise in die Bundesrepublik nicht nur im Zuge der Familienzusammenführung erlaubt wurde, wie man das in den 1980er Jahren praktiziert hatte, sondern auch auf jede Person deutscher Volkszugehörigkeit ausgedehnt wurde.
  6. Das Initiieren und der Beitrag zur Bildung von zwischenstaatlichen Regierungskommissionen im Jahre 1992, nämlich der Deutsch-Russischen, Deutsch-Kasachischen, Deutsch-Kirgisischen, Deutsch-Ukrainischen u. a., die sich um die Belange der deutschen Minderheiten in den ehemaligen Sowjetrepubliken kümmern sollten. Diese Kommissionen sind bis heute tätig und beschäftigen sich mit aktuellen Problemen der Deutschen in Russland vor Ort (darunter in zwei deutschen Landkreisen in Westsibirien). Außerdem sind in den Nachfolgestaaten der UdSSR ca. fünfhundert deutsche Begegnungszentren ins Leben gerufen worden. Es werden verschiedene Projekte im kulturellen Bereich betreut. Hilfsbedürftigen deutschen Rentnern und ihren Familien wird Sozialhilfe gewährt u.a.m.

Die meisten ehemaligen „Wiedergeburt“-Mitglieder  sind längst in Deutschland zu Hause und haben sich in die Berufswelt der Republik integriert, auch wenn sie des Öfteren Berufstätigkeiten aufnehmen mussten, die weit unter ihrer Qualifikation lagen.  Im Laufe der vergangenen 25-30 Jahre ist bereits nahezu die Hälfte der „Wiedergeburt“- Mitglieder verstorben. Mit ihnen verlieren wir auch das Wissen von ihrem selbstlosen Einsatz für die Rehabilitation unserer Volksgruppe, denn andere Informationsquellen darüber sind bisher kaum zu finden. Wir haben daher zu unserer Jubiläumsfeier viele jüngere Landsleute eingeladen, damit sie neue Impulse bekommen, um sich später mit der Vergangenheit und Geschichte unserer Volksgruppe, zu der auch die „Wiedergeburt“-Bewegung gehört, eingehender auseinanderzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist das 3. Treffen der Veteranen, die ihre Erfahrungen an die Vertreter der jüngeren Generation weiter geben konnten, besonders wichtig,

Ich glaube, dass der heutige bundesweite Kongress der Russlanddeutschen  gute Gründe hat, die anwesenden „Wiedergeburt“-Veteranen für ihren mutigen Einsatz für die Rehabilitation unserer Volksgruppe in der Sowjetunion und Russland zu ehren. Schließlich hat ihre Tätigkeit dazu beigetragen, dass drei Viertel unserer Volksgruppe sich in ihre historische Heimat Deutschland retten konnten.

Obwohl wir die wichtigsten Eingliederungsschwierigkeiten großenteils überwunden haben, machen sich für uns – zuerst schleichend und kaum erkennbar – seit einigen Jahren Schwierigkeiten anderer Art bemerkbar. Unser sehnlichster Wunsch, als Deutsche unter Deutschen leben zu können, ist nämlich erneut gefährdet. Seit 2015 ist es durch die von der deutschen Bundesregierung organisierte und geduldete Masseneinwanderung von mehr als 1,5 Millionen illegalen „Flüchtlingen“ nicht mehr zu übersehen. Es geht nun ums Überleben unserer Sprache,  unserer Kultur und alles dessen, was unsere Vorfahren durch harte Arbeit geschaffen haben auf deutschem Grund und Boden. Und wenn wir alle nicht endlich munter werden, um gemeinsam mit einheimischen Landsleuten gegen die gezielte Überfremdung unseres Landes zu kämpfen, werden wir sehr bald im eigenen Land zur nationalen Minderheit!

Wir können und müssen unsere Erfahrung im Ringen gegen den Untergang in einer feindlichen Umgebung unseren einheimischen Mitbürgern vermitteln. Nur gemeinsam sind wir stark. Ein neuer, hoffnungsvoller Anfang hat schon begonnen und zeitigt bereits positive Ergebnisse. Lasst uns mit allen Kräften zu diesem Prozess beitragen!

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!






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