Rede Wilhelm v. Gottberg: Gedenktag Russlanddeutsche
Grußwort des MdB Wilhelm v. Gottberg aus Anlass des Gedenktages der Deportation der Russlanddeutschen aus ihrem angestammten Siedlungsgebiet an der Wolga in die Weiten Sibiriens am 25. August 1941
Sehr verehrte Damen, meine Herren, liebe Versammlungsteilnehmer!
Das Schicksal verschiedener europäischer Volksgruppen im 20. Jahrhundert war durch beispiellose Grausamkeiten, Terror und Völkermord gekennzeichnet. Es entspricht der europäisch-abendländischen Gedenkkultur, immer wieder an die verschiedenen Episoden schwerster Menschenrechtsverletzungen zu erinnern.
Betroffen von den eben genannten Verbrechen waren – manchmal mehr, manchmal weniger – alle europäischen Völker. Deshalb ist es wünschenswert, wenn das kollektive Erinnern europaweit von allen gesellschaftlichen Kräften anerkannt würde.
Wenn wir uns heute an die Leiden der russlanddeutschen Bevölkerungsgruppe in der Sowjetunion erinnern, so ist damit keinesfalls eine Geringschätzung oder Ablehnung des Leidens und des Sterbens anderer Volksgruppen verbunden. Deshalb sei hier stellvertretend für andere betroffene Volksgruppen der Völkermord am europäischen Judentum genannt und geächtet, der unter der Verantwortung Deutschlands geschah. Jeden vernunftbegabten Menschen muss dieses Ereignis auch heute noch erschüttern.
Aufgrund des heutigen Jahrestages des Beginns der Deportation der Russlanddeutschen erinnern wir uns an das schwere Leid, das unsere Landsleute in der damaligen Sowjetunion durchleiden mussten. Es ist ja nicht so, dass das Leiden unserer Landsleute in Russland erst am 25. August 1941 begann. Schon vorher hatte der bolschewistische Terror in den 30er Jahren auch die autonome Republik der Russlanddeutschen und die Deutschen im Odessa-Gebiet heimgesucht. Aber die Vertreibung von Haus und Hof, die Trennung der Familien, Terror gegen die ungeliebte Minderheit erreichten ihren Höhepunkt in den Monaten nach dem 25. August 1941. Zehntausende unserer deutschen Landsleute wurden Opfer bestialischer Gewalt. In den Zielregionen der Deportation in den Weiten Sibiriens und in Kasachstan waren unsere Landsleute in eine Art Sklavenstand versetzt worden. Eine ganz langsame Rehabilitierung der betroffenen Menschen mit einer Verbesserung ihres Lebensstandards setzte in der zweiten Hälfte der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts ein. Der Selbstbehauptungswille der Russlanddeutschen begann wieder aufzuleben. Aber es dauerte noch 30 Jahre, bis es zu einer organisierten Versammlungsform der Russlanddeutschen kam. Am Anfang stand die russlanddeutsche Versammlung „Wiedergeburt“. Erst mit dem Zerfall der Sowjetunion konnten enge Verbindungen in die früheren Heimatgebiete der Russlanddeutschen in der Bundesrepublik geknüpft werden. Die damalige Bundesregierung hat dabei nicht abseits gestanden.
Es gehört zur Redlichkeit des Erinnerns, dass die Bundesregierung ab 1990 eine großzügige Einreiseerlaubnis für die Russlanddeutschen genehmigte, da sehr viele Landsleute für sich eine gedeihliche Zukunftsentwicklung nur in der Bundesrepublik sahen. Gleichzeitig gewährte die Bundesregierung großzügige Finanzhilfen für die Siedlungsgebiete der Russlanddeutschen in der Region Omsk und im Altai-Gebiet für die Landsleute, die weiterhin in Russland bleiben wollten.
Wahr ist auch, dass die Russlanddeutschen bei Ankunft in der Bundesrepublik nicht mit der Willkommenskultur aufgenommen wurden, mit der im Jahr 2015 knapp anderthalb Millionen Menschen aus einem fremden Kulturkreis und ohne die leidvolle Erfahrung der Russlanddeutschen empfangen wurden.
Wichtig ist mir bei dieser Gedenkveranstaltung, dass Ressentiments gegen Russland und seine Menschen kein Raum gegeben wird. Deutschland wie Russland haben Totalitarismus durchleiden müssen. Deswegen verbietet sich jedwede Schuldzuweisung wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen im 20. Jahrhundert. Trotz allem was geschah, Russland ist eine große Kulturnation. Russland und seine Kultur gehören zum abendländisch-christlichen Kulturkreis, es gehört zu Europa. Mich bedrückt die negative Berichterstattung über Russland in den Medien Deutschlands, wie sie seit einigen Jahren üblich geworden ist.
Die heutige Gedenkveranstaltung gibt mir Anlass, die Bundesrepublik und die westliche Wertegemeinschaft aufzufordern, die Sanktionen gegen Russland umgehend zu beenden.
Ich wünsche der Versammlung einen guten und harmonischen Verlauf.
Wilhelm v. Gottberg, MdB
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